Alex Barbier: Fenster zum Abgrund

Kongresszentrum Heinrich-Lades-Halle, Großer Saal
30. Mai - 2. Juni
Do 12-19 Uhr
Fr, Sa 10-19 Uhr
So 10-18 Uhr


Eine der entscheidenden Veränderungen in der Geschichte der französischen Comics - und damit der Comics überhaupt - geschah zu Ende der 70er Jahre. Damals drang die Malerei ein in die bis dahin primär grafische Kunstform. Die Technik der Kolorierung, die den schwarzweißen Entwurfszeichnungen der Bildergeschichten Farbe gegeben hatte, war vor allem eine Druckpraxis. Sie fügte der Grafik in einem zweiten Arbeitsgang die Farben hinzu. Und häufig lagen Zeichnung und Kolorierung gar nicht in der Hand desselben Künstlers. Das änderte sich durch die sogenannte "Couleur Directe", das direkte Auftragen der Farbe auf den Comic-Entwurf, bzw. den Comic-Entwurf in Farbe als ein Comic-Gemälde. Damit bekommen die Originale aus den Händen der Zeichner eine neue Qualität. Ihnen wächst trotz intendierter Reproduzierbarkeit eine Art Aura zu wie einem Bild, das ein Unikat ist. Abgesehen von dieser "Adelung" des Comic-Panels zum Kunstwerk werden selbstverständlich durch die Direktkolorierung viele neue Effekte, Akzente und Kräfte im alten Medium freigesetzt.
Alex Barbier war einer der ersten, der das Erzählen in Bilderfolgen malerisch begriff. Er ist 1950 im französischen Saint-Claude geboren und hat 1975 seine ersten gemalten Short Storys veröffentlicht. 1979 erschien der Band "Lycaons" und 1982 "Le Dieu du 12". Danach begann er mit seinem auch in Deutschland bekannten Werk, der Novelle "Briefe an den Bürgermeister von V.". Sie wurde in der Zeitschrift "Hara-Kiri" abgedruckt, blieb aber wegen der Einstellung des Magazins im Jahr 1985 unvollendet. Ein wenig enttäuscht davon, dass die neuen Qualitäten narrativer Malerei noch kaum begriffen wurden, wandte Barbier sich danach dem Tafelbild zu, studierte an der Hochschule der Schönen Künste in Nantes Grafik und Bildhauerei und stellte seine Arbeiten in zahlreichen Galerien in Frankreich und der Schweiz aus.
Nachdem sich die "Couleur Directe" in den 90er Jahren als dominante Technik im französischen Comic durchgesetzt hatte, wurde Barbier als einer ihrer Urväter wiederentdeckt. Seine Alben wurden neu aufgelegt und er malte neue Comic-Geschichten: 1994 "Wie ein Hahn ohne Kopf" und "Les Paysages de la Nuit". Ein Jahr später traten die Japaner, die inzwischen die Comic-Szene der ganzen Welt stilistisch beeinflussen und kommerziell nutzen, auch an Barbier heran, und er schuf für den Verlag Kodansha einen Comic-Roman von über 100 Seiten Umfang. Schließlich hat er auch mit der Brüsseler Künstlergruppe Fréon ein Projekt entwickelt.
Alex Barbiers großes Thema ist die Angst. Er malt Visionen der Angst, wie sie aus dem Unbewussten aufsteigt oder wie sie von Drogen ausgelöst wird. Objektive Realitäten kennen seine Geschichten und seine Bilder kaum. Jeder Erzählstrang kann von einem Augenblick zum anderen in eine andere Wirklichkeit umschlagen. In der elenden und einsamen Morgenstimmung eines heruntergekommenen Zimmers in der Geschichte "Wie ein Hahn ohne Kopf" realisiert sich auf einmal ein Fernsehansager mit merkwürdigen Nachrichten oder eine Art außerirdisches Wesen mit Eroberungsplänen. Die Welt von Barbier und seinen Figuren hat keine klaren Konturen. Immer wieder versetzt er seine Bilder in malerische Unschärfe. Damit werden die Szenen in die Andeutung entrückt, in die Undurchsichtigkeit, in unklare Zonen. Oft verlieren sich dort Barbiers Figuren.
Die sind meist Ausgesetzte, ausgesetzt seelischen Verwirrungen, physischen Schrecken und fleischlichem Entsetzen. Erotik und Sexualität spielen in Barbiers Geschichten eine entscheidende Rolle, oft aufgefasst als Obsessionen, Wahnvorstellungen, immer wieder nahe an den Schmerz gerückt. Der englische Künstler Francis Bacon lässt sich als Vorbild ausfindig machen. Manchmal reißen Barbiers Figuren in ähnlichem Schmerz die Münder auf wie jene von Bacon. Sexualität, Ängste, Wahn verändern die Menschen, von denen Barbier erzählt. Sie vertieren, sie verwandeln sich auch bildhaft in Bestien. Werwölfe, Vampire und sogar "brutale Comicfiguren" durchstreifen verschattete Räume und traurige Stadtlandschaften. Die Farben sind expressiv, werden im Licht gebrochen und manchmal in Scheinhaftigkeiten aufgelöst. Sie gehorchen nicht dem Spektrum der Sonne, sondern jenem anderen Spektrum von Verschiebungen der Hirnphysiologie, wie es durch Drogenkonsum erzeugt wird. Barbier hat immer eine Nähe zum amerikanischen Drogen-Autor William Burroughs eingeräumt. Für David Cronenbergs Verfilmung des Burroughs-Romans "Naked Lunch" hat er eine Geschichte gemalt. Selbstverständlich ist seine Tageszeit die Nacht. Selbstverständlich erinnert die Verlassenheit der Personen an die kalten Welten Edward Hoppers. "Horrible" ist das adäquate französische Wort für die Storys, die Alex Barbier erzählt, für die Befindlichkeit seiner Protagonisten und für die Stimmung seiner Comic-Panels, die alle kleine Gemälde sind. (HH)

© Stadt Erlangen und Verfasser

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