Ursprünglich haben Menschen Städte auch
gebaut, um sich von den Geistern abzusetzen. Die sollten dort bleiben,
wo sie hingehören: in der Natur, vor den Stadtmauern. Doch die Geister
waren klüger als die Menschen. Sie ließen sich als Konterbande
in die Städte einschmuggeln - und zwar in den Köpfen. Nun wohnen
sie in einer Parallelwelt neben den Menschen in den Städten: in Büchern
und Filmen, in Computerspielen, Videos und Comicstrips. Da ist es gut,
dass es Geisterjäger gibt. Dylan Dog ist so ein Geisterjäger.
Von geheimnisumwitterter Herkunft, lebt er mit seinem Faktotum Groucho
in einem London, das sich hinter seiner modernen Fassade in zahllose Abgründe
und Anderswelten öffnet. Von dort aus steigen die Geister wieder
in die Köpfe, und die Menschen wissen nicht mehr, was Wahn ist, was
Wirklichkeit - wenn Verstorbene nicht aus den Seelen verschwinden wollen
oder die Dämonen des Alkohols nicht weichen.
"Dylan
Dog", seit 1986 erfolgreich auf dem italienischen Fumetti-Markt,
ist eine der intelligentesten Comic-Erfindungen überhaupt. Tiziano
Sclavi, der Schöpfer der Serie, hat es geschafft, seine Storys so
anzulegen, dass sie mühelos auf zwei Ebenen rezipiert werden können:
einmal ganz naiv als spannende Gruselgeschichten, zum anderen aber hochintellektuell
als postmoderne Vexierspiele mit allen möglichen medialen Vorbildern,
vor allem aber dem Film. Schon Dylan Dogs Sidekick Groucho ist eine Hommage
auf den großen Marx Brother, und die erste Nummer mit dem deutschen
Titel "Morgendämmerung der Untoten" war voll von Anspielungen
auf George A. Romeros Kult-Schocker "Die Nacht der lebenden Toten".
Sclavi, Comic-Redakteur, Romanautor und Szenarist, umgibt sich selbst
gern mit der Aura des Sonderlings und fühlt sich laut eigener Aussage
besonders nahe an den Freaks und Monstern seiner Serie.
"Dylan Dog" wird von unterschiedlichen Zeichnern gestaltet,
die jedoch alle den ursprünglichen Stil von Angelo Stano nur vorsichtig
abwandeln. Stanos großes Vorbild ist vor allem bei der Figuration
der österreichische Expressionist Egon Schiele. Folglich mildert
Stano knallharte Schwarzweiß-Kontraste durch konturierende Rasterflächen
und weiche Schwünge in der Linienführung ab. Manche seiner Kollegen
verhärten Dylan Dogs Welt wieder, manche lösen sie noch mehr
ins Ornamentale auf. Immer aber illustrieren sie Geschichten, die von
der Kinoleinwand herabgestiegen sind - und durch die selbstverständlich
neue Geister die Städte bewohnen. (HH)
© Stadt Erlangen und Verfasser
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