So
ist das: Man fährt irgendwann los und weiß nicht, ob man irgendwo
ankommt. Oder: Man kommt irgendwo an und weiß nicht, ob man den
Ort noch einmal verlassen kann. Jedenfalls wenn man in der Welt des Thomas
Ott lebt. Da führen nahezu alle Straßen nach "Hellville".
Nach der Höllenstadt hat er eines seiner Alben genannt. Es enthält
Kurzgeschichten. Die Kurzform genügt. Zu mehr haben Otts Protagonisten
meist keine Zeit, dann ist die schlimmst mögliche Wendung für
sie eingetreten. Und was mit ihnen war, bevor sie auf die Bühne des
Ott'schen Nachttheaters treten, interessiert ohnehin nicht. Man sieht
diesen Figuren an, dass es Verlorene sind - von Anfang an. Wenn ihnen
mehr bleibt als der Tod, dann ist es der Wahnsinn.
Eine zutiefst pessimistische Welt wird da geschaffen. Als Ausweg bleibt
höchstens das Lachen. Otts Sinn fürs Makabre geht so weit, dass
er dem Album "Hellville" eine Widmung voranstellt: "For
Mom and Dad". In einem Jubelkranz umarmt sich dazu ein Paar von Skeletten,
noch dazu an den Schultern verschmolzen wie Siamesische Zwillinge. Und
nun fragt sich der Leser: Sind wirklich die Eltern gemeint? Ist das Bild
dann eine Vorwegnahme des Kommenden oder eine Fixierung des Tatsächlichen?
Oder ist alles überhaupt nur ein, na ja, Scherz? Es ist, als hätte
Thomas Ott sein surrealistisches Manifest gelesen, das ja die größtmögliche
Verunsicherung des Publikums verlangt. Selbstverständlich nährt
sich seine Kunst aus den Konzepten der Surrealisten. Wo Tag ist und wo
Traum, lässt sich fast nie unterscheiden. Auf welcher Ebene der Wirklichkeit
oder der Kunst sitzt denn der Angler, der seinen Haken in einen Hut schlägt
und ihn einem arglosen Passanten vom Kopf reißt, so dass der dem
Hut hinterher und vor ein Auto springt? Der Angler aber, so zeigt das
letzte Panel, fischt tatsächlich nur nach Hüten. Was ist denn
Realität?
Thomas
Ott stellt sie radikal in Frage. Er ist 1966 in Zürich geboren, hat
dort die Kunstgewerbeschule absolviert und fertigt seit 1987 freischaffend
Comics, Illustrationen und Trickfilme an. Einmal hat er sich sogar einen
Superhelden ausgedacht. Doch "Phantom der Superheld" mit seiner
lächerlichen Kopfmaske ist eine ziemlich jämmerliche Figur und
den wirklichen Brutalitäten der Alltagswelt nicht gewachsen. Sonst
ist Otts Kunst allein die Farbe der Nacht angemessen, also das Schwarz.
Aus schwarzem Schabkarton kratzt er seine Geschichten. Das Weiß,
die Farbe des Lichts, muss herbeigezwungen werden und bleibt immer von
schwarzen Striemen durchsetzt. Licht ist aber auch allzu gefährlich,
wie die Geschichte "G.O.D." belegt. Nach einer Engelserscheinung
erstrahlt ein Arbeiter in hellem Licht. Das hat zur Folge, dass Sicherheitskräfte
in seine Wohnung einbrechen, den Strahlenden zusammenschlagen, fesseln
und in einer Sanka davon fahren. Als Logo trägt der Wagen das Auge
Gottes. Und die nächtliche Straße, in der der Mann verladen
wird, ist ganz eng, hermetisch, ausweglos.
Ott spielt häufiger mit metaphysischen oder mythischen Elementen
aus den großen Erzählungen der Menschheit. Er spielt aber genauso
mit Versatzstücken der Trivialkultur, mit Motiven der Schauerliteratur.
So ist die Stimmung, die über Otts Welten liegt, direkt der Schwarzen
Serie des Kinos entliehen. Und weil sich vielleicht die Handlungen nirgends
anders abspielen als hinter den Stirnen verrückter Menschen, werden
die Panels immer wieder von Gesichtern dominiert. Es sind Physiognomien
und Porträts, die die Fassung bewahren wollen, wo alles Erleben längst
fassungslos geworden ist. Denn aus den Fontanellen der Köpfe dringt
unaufhaltsam Schwärze in den Tag. (HH)
© Stadt Erlangen und Verfasser
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