Die
Gestalt des Großen Saales mit den in imaginären Stadtlandschaften
aus Licht stammt in diesem Jahr von François Schuiten, dem "Städteplaner"
unter den Comic-Künstlern. Benoît Peeters stellte ihm die Bilder
dafür zusammen.
Die Show auf Riesenleinwänden, die erstmals in Erlangen gezeigt wird,
führt tief ins Universum von Schuiten/Peeters' "geheimnisvollen
Städten". Die Wände klingen zur Musik des französischen
Komponisten Bruno Letort, die eigens dafür komponiert wurde. Alaxis,
Urbicande und Brüsel erwachen zum Leben.
In einer Kurzgeschichte des unzertrennlichen Teams François Schuiten/Benoît
Peeters, macht ein Mann in Paris eine merkwürdige Entdeckung: Unter
der Stadt wuchern unbegreifliche farbige Röhren. Der Mann wird wegen
Spionage gefangen genommen, verurteilt und exekutiert. Da brechen die
Röhren im Zentrum der Stadt aus dem Boden und formieren sich zum
Centre Pompidou. Ein Höhepunkt der modernen Architektur, so könnte
uns das sagen, kommt aus dem Untergrund - und er fordert Opfer. Mit dem
Aspekt des Opfers könnte vor allem Schuiten Kritik an der Architektur
der Moderne geübt haben. Denn die Gebäude, von denen er erzählt,
haben ihre Formen alle von den folgenreichen Thesen aus dem Bauhaus erhalten.
Dennoch wird François Schuiten hinterrücks wieder von den
Prämissen der Moderne eingeholt. Diese folgte stets dem Prinzip Konstruktion.
Und genau diesem Prinzip folgen auch Schuiten und Peeters bei der Konstruktion
ihrer stadtarchitektonischen Gegenwelten. Die eher zufälligen Anfänge
ihrer Weltschöpfung mit "Die Mauern von Samaris" (1983)
und "Das Fieber des Stadtplaners" (1984) wurden spätestens
mit dem Band "Der Archivar" (1987) zusammengebunden und von
da aus konstruktiv weiterentwickelt und ausgebaut. Zehn Jahre später
entstand mit dem "Führer durch die geheimnisvollen Städte"
eine Art Baedeker zu den Städten und Stätten aus der Phantasie
der beiden Künstler. Diese Phantasie aber ist nicht nur planerisch,
sondern zutiefst rational genutzt worden - während auf der Handlungsebene
der Stadterzählungen am Ende meist das Irrationale triumphiert, manchmal
destruktiv, meist aber sogar befreiend.
François
Schuiten - Jahrgang 1956, Holländer in der Wahlheimat Belgien, Spross
einer Architektenfamilie, der sich diesem Beruf jedoch verweigert und
seit 1977 kontinuierlich Comics zeichnet, zuerst nach Szenarien von Claude
Renard und seinem Bruder Luc Schuiten, inzwischen längst Multimediakünstler
und selbst Stadtgestalter etwa durch die Planung von U-Bahnhöfen
- und Benoît Peeters - Jahrgang 1956, Klassenkamerad von François
Schuiten, Autor von Essays, Romanen, Hörspielen, Sachbüchern
und Comic-Szenarien - gelten als die beiden Comic-Künstler, die sich
mit dem Thema Stadt auseinandergesetzt haben wie keine anderen. Auf einer
symbolischen Ebene haben sie dabei meist den Terror der Architektur beschrieben,
die Unterwerfung und Unterdrückung des Menschen durch Fassaden, die
nur Kulissen sind ("Die Mauern von Samaris"), deren undurchschaubares
System naturhaft verwurzelt zu sein scheint ("Der Turm") oder
die von ökonomischen Interessen in ein Krebsgeschwür verwandelt
wird ("Brüsel"). Die Frage ist allerdings, ob sich die
Alben und Bücher von Schuiten und Peeters, mit Ausnahme von "Brüsel",
zum Anlass von Diskussionen über aktuelle Probleme von Architektur
und Stadtentwicklung nehmen ließen, oder ob sie nicht vielmehr Fluchträume
in ein doch wieder postmodern beliebiges Zitatenspiel öffnen.
Mit dem Prinzip Konstruktion haben Schuiten und Peeters längst auch
die Handlungsträger ihrer Erzählungen vernetzt und verbunden.
In jedem neuen Album, das erscheint, können sie inzwischen auf eine
Familie zurückgreifen, deren Mitglieder an formal zwar präzis
umrissenen, semantisch aber nur skizzierten Schauplätzen leben. Sie
schaffen ein artifizielles Universum in der Nussschale des Baukastensystems.
Es macht durchaus Spaß, sich darin zu bewegen. Aber es driftet mit
zunehmender Geschwindigkeit ab von den urbanen Problemen der Gegenwart.
Dabei könnte man mit der Methode von Schuiten und Peeters genau diese
Probleme - etwa die sozial und versorgungstechnisch nicht eingebundenen
Metastasen der Favelas am Rand der Megacitys - ansprechen. Die urbane
Selbstinszenierung durch eine zweite Architekturschicht von Reklame ist
in "Die Mauern von Samaris" immerhin angedeutet. Das immense
Kunstpotential von Schuiten und Peeters enthält mehr Diskussionsstoff
zur aktuellen Lage der Städte, als die selbstgenügsame Verspieltheit
der beiden Künstler vermuten lässt. Vielleicht kann man es für
Stadt und Zukunft nicht nur in Gegenwelten nutzen. (HH)
© Stadt Erlangen und Verfasser
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