Das Prinzip Konstruktion –
Die urbanen Gegenwelten von François Schuiten

Kongresszentrum Heinrich-Lades-Halle, Großer Saal
30. Mai - 2. Juni
Do 12-19 Uhr
Fr, Sa 10-19 Uhr
So 10-18 Uhr

Samaris

 

SamarisDie Gestalt des Großen Saales mit den in imaginären Stadtlandschaften aus Licht stammt in diesem Jahr von François Schuiten, dem "Städteplaner" unter den Comic-Künstlern. Benoît Peeters stellte ihm die Bilder dafür zusammen.
Die Show auf Riesenleinwänden, die erstmals in Erlangen gezeigt wird, führt tief ins Universum von Schuiten/Peeters' "geheimnisvollen Städten". Die Wände klingen zur Musik des französischen Komponisten Bruno Letort, die eigens dafür komponiert wurde. Alaxis, Urbicande und Brüsel erwachen zum Leben.
In einer Kurzgeschichte des unzertrennlichen Teams François Schuiten/Benoît Peeters, macht ein Mann in Paris eine merkwürdige Entdeckung: Unter der Stadt wuchern unbegreifliche farbige Röhren. Der Mann wird wegen Spionage gefangen genommen, verurteilt und exekutiert. Da brechen die Röhren im Zentrum der Stadt aus dem Boden und formieren sich zum Centre Pompidou. Ein Höhepunkt der modernen Architektur, so könnte uns das sagen, kommt aus dem Untergrund - und er fordert Opfer. Mit dem Aspekt des Opfers könnte vor allem Schuiten Kritik an der Architektur der Moderne geübt haben. Denn die Gebäude, von denen er erzählt, haben ihre Formen alle von den folgenreichen Thesen aus dem Bauhaus erhalten. Dennoch wird François Schuiten hinterrücks wieder von den Prämissen der Moderne eingeholt. Diese folgte stets dem Prinzip Konstruktion. Und genau diesem Prinzip folgen auch Schuiten und Peeters bei der Konstruktion ihrer stadtarchitektonischen Gegenwelten. Die eher zufälligen Anfänge ihrer Weltschöpfung mit "Die Mauern von Samaris" (1983) und "Das Fieber des Stadtplaners" (1984) wurden spätestens mit dem Band "Der Archivar" (1987) zusammengebunden und von da aus konstruktiv weiterentwickelt und ausgebaut. Zehn Jahre später entstand mit dem "Führer durch die geheimnisvollen Städte" eine Art Baedeker zu den Städten und Stätten aus der Phantasie der beiden Künstler. Diese Phantasie aber ist nicht nur planerisch, sondern zutiefst rational genutzt worden - während auf der Handlungsebene der Stadterzählungen am Ende meist das Irrationale triumphiert, manchmal destruktiv, meist aber sogar befreiend.

NogegoNFrançois Schuiten - Jahrgang 1956, Holländer in der Wahlheimat Belgien, Spross einer Architektenfamilie, der sich diesem Beruf jedoch verweigert und seit 1977 kontinuierlich Comics zeichnet, zuerst nach Szenarien von Claude Renard und seinem Bruder Luc Schuiten, inzwischen längst Multimediakünstler und selbst Stadtgestalter etwa durch die Planung von U-Bahnhöfen - und Benoît Peeters - Jahrgang 1956, Klassenkamerad von François Schuiten, Autor von Essays, Romanen, Hörspielen, Sachbüchern und Comic-Szenarien - gelten als die beiden Comic-Künstler, die sich mit dem Thema Stadt auseinandergesetzt haben wie keine anderen. Auf einer symbolischen Ebene haben sie dabei meist den Terror der Architektur beschrieben, die Unterwerfung und Unterdrückung des Menschen durch Fassaden, die nur Kulissen sind ("Die Mauern von Samaris"), deren undurchschaubares System naturhaft verwurzelt zu sein scheint ("Der Turm") oder die von ökonomischen Interessen in ein Krebsgeschwür verwandelt wird ("Brüsel"). Die Frage ist allerdings, ob sich die Alben und Bücher von Schuiten und Peeters, mit Ausnahme von "Brüsel", zum Anlass von Diskussionen über aktuelle Probleme von Architektur und Stadtentwicklung nehmen ließen, oder ob sie nicht vielmehr Fluchträume in ein doch wieder postmodern beliebiges Zitatenspiel öffnen.
Mit dem Prinzip Konstruktion haben Schuiten und Peeters längst auch die Handlungsträger ihrer Erzählungen vernetzt und verbunden. In jedem neuen Album, das erscheint, können sie inzwischen auf eine Familie zurückgreifen, deren Mitglieder an formal zwar präzis umrissenen, semantisch aber nur skizzierten Schauplätzen leben. Sie schaffen ein artifizielles Universum in der Nussschale des Baukastensystems. Es macht durchaus Spaß, sich darin zu bewegen. Aber es driftet mit zunehmender Geschwindigkeit ab von den urbanen Problemen der Gegenwart. Dabei könnte man mit der Methode von Schuiten und Peeters genau diese Probleme - etwa die sozial und versorgungstechnisch nicht eingebundenen Metastasen der Favelas am Rand der Megacitys - ansprechen. Die urbane Selbstinszenierung durch eine zweite Architekturschicht von Reklame ist in "Die Mauern von Samaris" immerhin angedeutet. Das immense Kunstpotential von Schuiten und Peeters enthält mehr Diskussionsstoff zur aktuellen Lage der Städte, als die selbstgenügsame Verspieltheit der beiden Künstler vermuten lässt. Vielleicht kann man es für Stadt und Zukunft nicht nur in Gegenwelten nutzen. (HH)

© Stadt Erlangen und Verfasser

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