Der Kulturwissenschaftler sucht immer nach Gemeinsamkeiten,
wenn er die Kunstproduktion einer Region betrachtet. Er versucht, die
Charakteristika dieser Region in den Produkten wiederzuentdecken, Wechselwirkungen
herzustellen - und muss sich doch oft genug damit bescheiden, einfach
die Vielfalt zu konstatieren. Genauso geht es, wenn man die Werke von
sechs Comic-Künstlern betrachtet, die im Stuttgarter Raum leben und
arbeiten. Da will sich nichts spezifisch Schwäbisches einstellen,
abgesehen höchstens von "Fritzle, dem VfB-Aligator", einem
Maskottchen für die Stadionzeitung des Stuttgarter Fußballclubs,
den Martin Frei zeichnet. Aber der war in der vergangenen Spielzeit zwangsläufig
nicht besonders bissig.
So stehen die sechs Zeichner Martin Frei (Jahrgang 1964), Hartmut Klotzbücher
oder Haggi (Jahrgang 1961), Jürgen Speh oder Geier (Jahrgang 1963),
Peter Puck (Jahrgang 1960), Stefan Dinter (Jahrgang 1965) und Naomi Fearn
(Jahrgang 1976) vor allem für das Spektrum deutscher Comic-Produktion,
das sich in den letzten Jahren entfächert hat. Wobei dann doch Unterschiede
zu den bedeutenden Comicer-Gruppen in Berlin oder Hamburg auffallen. Die
Schwaben teilen weder den Berliner Hang zu sehr individuellen, stark ästhetisch-archaischen
Ausdrucksformen noch den Hamburger Touch von Pop und Underground. Die
Stuttgarter sind Geschichtenerzähler, wenn auch auf ganz unterschiedliche
Arten und Weisen.
So
nimmt Haggi in seinem Werk eine sehr bewusste Naivität an, schon
in seinen frühen Arbeiten von "Ferdi" oder den "Abenteuern
vom Lieben Gott", erst recht in seinem Hauptwerk, den Geschichten
vom "Hartmut". Diese Geschichten werden immer wieder als Comics
für Kinder verkannt, auch weil sie sich die Strichführung von
Kinderzeichnungen zugelegt haben. Eigentlich sind es aber Meta-Comics
über triviale Handlungskonstruktionen mit einem beinahe absurden
Umgang mit der Orthografie. Sie lassen sich freilich auch von Kindern
genießen, wenn diese nicht auf dem Tempo zeitgeistiger Medienware
bestehen.
Solche
Kinder wiederum sind die Helden von Stefan Dinters Erfolgsserie "Die
kleinen Mutterficker". Darin werden die Verhaltensweisen von Playstation-
und Skateboard-Kids mit viel Zuneigung überhöht, vergrößert,
freilich auch bedient.
In der besten Tradition der anthropomorphen Tiercomics steht Peter Pucks
grandioser "Rudi", der Trends und Tragödien in Gesellschaft
und "Szene" mit der Kunst satirisch eingesetzter Physiognomie-Studien
auf ihre meist für das Individuum katastrophalen Pointen bringt.
Ein
anthropomorphes Tier (nämlich ein Hase) ist auch "Horst"
von Geier. Horst denkt immer nur an DAS EINE und macht seine mehr oder
minder beglückenden Erfahrungen damit. Dass er Tierverkleidungen
nicht braucht, um den Zeitgeist zu attackieren, hat Geier in zahlreichen
anderen Arbeiten, etwa der durchsetzungsstarken "Lena Wombat",
mit dynamischen Perspektivwirbeln bewiesen.
Martin
Frei ist ein Realist, der viel von der Figurengestaltung amerikanischer
Mainstream-Comics gelernt hat (auch wenn er sie dann in der Parodie "Superbabe"
in die Groteske verzerrt). Er erzählt gern Mainstream-Geschichten
aus den Bereichen Action, Horror, Science-Fiction. Sein Hauptwerk "Gregor
Ka im 21. Jahrhundert" verbindet diese Elemente mit Franz Kafkas
ausweglosen Weltentwürfen.
Realistisch,
allerdings auf eine nette und zuckerbunte Art, sind auch die Geschichten,
die Naomi Fearn in "Zuckerfisch" aus dem Studentenalltag berichtet.
Sie benutzt das Comic-Medium, um wenigstens in der Zeichnung Phantasien
sichtbar zu machen, Träume zu träumen.
So ganz weit weg vom Leben ist also keiner von den Stuttgarter Comicern.
Das Leben hat bloß viele Comic-Gesichter und manchmal auch Comic-Fratzen.
Mit diesen Geschichten lässt sich der deutsche Comic-Markt zwar nicht
erobern, aber es lassen sich Nischen ausbauen, Gemeinden gewinnen und
Zustimmung dazu erarbeiten, dass man dem Leben mit gezeichneten Geschichten
durchaus nahe kommen kann. (HH)
© Stadt Erlangen und Verfasser
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