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Kategorie
3a |
Beste
deutschsprachige Comic-Publikation, Eigenproduktion |
Tim
Dinter/Jens Harder/Ulli Lust/Kathi Käppel/Mawil/Kai Pfeiffer, "Alltagsspionage:
Comicreportagen aus Berlin", Monogatari
Künstlergruppen,
das ist für viele ein Konzept aus den 80er Jahren, als sich in Italien
Ausnahmezeichner wie Mattotti, Burns und andere zur Gruppe Valvoline zusammen
getan haben. Oder man denkt an L'Association (Trondheim und Co.), die
sich in den letzten Jahren zum wichtigsten Nachwuchsverlag Frankreichs
entwickelt haben. Dass so etwas auch in unseren Gefilden funktioniert,
beweist seit einem Jahr die Gruppe Monogatari (japanisch für: Geschichten
erzählen), deren Mitglieder allesamt Studenten an der Berliner Kunsthochschule
Weißensee sind oder waren. Besonderes Medieninteresse bekamen die
Monos, als sie im Frühjahr den vielbeachteten Band "Alltagsspionage"
mit Comicreportagen aus der deutschen Hauptstadt vorlegten. Ein furioses
Debüt für eine Gruppe von Studenten, denn die Arbeiten in dem
Band - der inzwischen in einer zweiten Auflage erhältlich ist - hatten
sofort zur Folge, dass man die Monogataris zum größten europäischen
Festival des Independent-Comics ins schweizerische Luzern einlud. Ein
anderes Ergebnis war im September vorigen Jahres der Reportage-Auftrag
vom Berliner "Tagesspiegel": Zehn Tage lang durfte sich die
Gruppe ins Getümmel der Funkausstellung stürzen, die Ergebnisse
erschienen täglich in der Lokalzeitung.
Aber Monogatari lebt von der Vielfalt der Gruppenmitglieder, auch wenn
die Zusammenarbeit von Einzelnen (z.B. bei animierten Videos) immer wieder
erstaunliche Resultate hatte. Markus Witzel etwa bereichert unter dem
Kürzel Mawil schon seit vielen Jahren die Berliner Szene und veröffentlicht
auch bei den Underground-Leuten von Epidermophytie. Seine extrem komischen
Alltagsgeschichten stehen dabei ganz in der Tradition von Zeichnern wie
Fil oder ©Tom. Tim Dinter legte mit seiner Diplomarbeit "Alte
Frauen" ein Musterbeispiel der paranoiden Verschwörungstheorie
vor, während Jens Harders Album "Electricité Marseille"
nahezu perfekt die Atmosphäre der französischen Hafenstadt einfängt.
Überhaupt kann man allen Monos einen gesunden Hang zum Erzählerischen
bescheinigen, bloßes l'art pour l'art gibt es bei ihnen nicht. Zur
Zeit arbeiten alle verbliebenen studentischen Mitglieder der Gruppe an
ihren Diplomarbeiten. "Langfristig", so plant Jens Harder, "werden
wir wohl spätestens nach dem Studium ein eigenes Atelier gründen."
Gute Aussichten also für die Comicszene in Berlin. (LuG)
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Tim Dinter/Kai Pfeiffer, "Alte Frauen", Zwerchfell
Tristan von Eulenberg ist der desillusionierte Sohn eines ziemlich
heruntergekommenen Landadligen, der an dem ebenso absurden wie unbeachteten
Institut für Grenzverhalten arbeitet. Außer den Angestellten
interessiert sich niemand für die Forschungsergebnisse, und das
ist nicht weiter verwunderlich. Die Mitarbeiter, vom Institutsleiter
bis zum scheinbar paranoiden Herrn Hülsenspiel sind mindestens
ebenso schräg wie ihre Forschungsobjekte. Als sogenannter Observator
schnüffeln sie Personen hinterher, deren Verhalten von der gesellschaftlichen
Norm abweicht, um für dieses Verhalten neue Normen zu definieren.
Über die Tochter des Institutsleiters gerät Tristan an eine
rätselhafte Liga alter Damen, die ziemlich Großes vorhat.
Kai Pfeiffers und Tim Dinters (ja doch, er ist mit den berühmt-berüchtigten
Dinters verwandt!) "Alte Frauen" ist ein sehr geradliniger,
bestechend logisch aufgebauter Comic um Verschwörungstheorien und
jede Menge kriminelle Energie, die man dort, wo sie sich bündelt,
nie vermuten würde. Vor einer vollkommen unspektakulären Kulisse,
deren schwarzweiße Tristesse den Leser an den Rand der Depression
treibt, verbindet das Autoren-Zeichner-Team sehr viel schwarzen Humor
mit bitterem Ernst - so dass man am Ende nicht weiß, ob man lachen
oder weinen soll. Tim Dinter und Kai Pfeffer, Mitglieder der Zeichnergruppe
Monogatari, waren - zum Glück! - mutig genug, "Alte Frauen"
als Abschlussarbeit eines Kunststudiums vorzulegen. (pela)
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Andreas Gefe/José-Luis
Bocquet, "Mein Bruder Flo", Arrache Coeur
Der
Traum von der Stadt wird oft zum Albtraum. Auch für Flo, den schwarzen
Jungen vom Land mit seinen Illusionen von urbaner Freiheit und von rassischer
Solidarität. Die Illusionen enden schnell mit dem Tode. Und nur
noch sein weißer Bruder kann dann die Geschichte von Flo zu Hause
erzählen. "Mein Bruder Flo" ist ein schwermütiges
Album, ist sehr hermetisch. Der Schweizer Künstler Andreas Gefe
aus Küssnacht, bisher durch den Comic-Roman "Madame Lambert"
bekannt, geht mit seinen Panels dicht heran an die Gesichter, schneidet
sie manchmal ab wie mit übernahen Kameraeinstellungen. Das Farbspektrum
hat er auf Grau- und Blautöne reduziert, die mit Weißhebungen
akzentuiert werden. So entsteht eine nächtliche Welt noch am Tag;
sie bietet kaum Hoffnung auf einen Morgen und trifft genau jene Stimmung,
die das Szenario des französischen Kriminalschriftstellers und
Comic-Autoren José-Luis Bocquet vorgibt. Es geht in "Mein
Bruder Flo" auch um Rassismus, aber eine Idealisierung der Farbigen
findet nicht statt. Alles bleibt grau. Am Ende entspricht die Trauer
hinter der Stirn des Protagonisten und des Lesers der schwarzen Wolkenmasse,
die über dem Dorf aufzieht. (HH)
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Ulf K., "Tango
de la Mort", Edition 52
Er ist das größte
Talent des deutschsprachigen Comics, und natürlich hatten das die
Franzosen längst gemerkt, bevor Ulf K. bei uns überhaupt Aufmerksamkeit
erregte. Das gelang ihm vor allem durch zwei Publikationen: "Exlibris"
und "Tango de la Mort". Im letzteren Band entfaltet sich die
ganze Breite des jungen Oberhausener Zeichners, obwohl sich das ganze
Album einem einzigen Thema unterwirft: dem Tod. Aber wer den Sensenmann
einmal so gesehen hat, wie Ulf K. ihn hier zeichnet, als zögerlichen,
sensiblen, oftmals geradezu witzigen Unzeitgenossen, der wird ihn in
Zukunft gerne einen guten Mann sein lassen. In den zahlreichen Kurzgeschichten,
die das Album versammelt, wird nicht nur die zeichnerische Entwicklung
deutlich, die Ulf K. in den vergangenen fünf Jahren durchlaufen
hat, sondern auch sein beispielloses Gespür für Schwarzflächen,
für die Seitenarchitektur und für Dekors, die uns entführen
in eine Traumwelt, deren Elemente sowohl die Harmlosigkeit von Kinderbuchzeichnungen
besitzen wie das Abgründige mittelalterlicher Totentanz-Zyklen.
Das Resultat aber ist vor allem ein Brückenschlag zwischen französisch
inspirierter Comicperfektion und deutscher Romantik und als solcher
einmalig. (apl)
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Atak, "Wondertüte
5/6 - Hunde über Berlin", Reprodukt
Was soll man sagen
über den Zyklus "Hunde über Berlin", den Atak in
seiner Comicserie "Wondertüte" erzählt? Dass er
von einem der größten Comic-Künstler stammt, die dieses
Land zu bieten hat? Dass er ein formales Experiment darstellt, wie es
sonst nur Chris Ware in seiner "Acme Novelty Library" gewagt
hat (die selbstgestaltete Werbung im Heft, die Bastelbeilagen, Trading
Cards, die wechselnden Stilformen)? Oder dass die Montage aus fantastischen
und realistischen Elementen in Handlung wie Grafik ein Unbehagen beim
Lesen entstehen lässt, das der Geschichte um den Teufel in Hundegestalt
perfekt entspricht? Oder dass es Gastzeichner in den Heften gibt, in
der Doppelnummer 5/6, dem bisherigen Höhepunkt der Reihe, etwa
Matti Hagelberg, Nicolas Robel, Martin tom Dieck, Charles Burns, M.S.
Bastian, um nur einige zu nennen? Oder dass keine Seite der anderen
gleicht, weder im Layout noch in den verwendeten Stilformen? Vielleicht
aber sollte man einfach sagen, dass "Wondertüte" genau
das ist, was der Name sagt: ein Wunder. Und es steckt unendlich viel
drin. (apl)
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Moga Mobo, "100 Meisterwerke der Weltliteratur", Bostel
Produktion
Bücher lesen lohnt nicht, das weiß inzwischen jeder vernünftige
Mensch. In unserer schnelllebigen Zeit hat man gar keine Zeit, sich
durch einen 400-Seiten-Roman zu kämpfen. Gute Bücher werden
sowieso verfilmt, dann bekommt man eine praktische und zeitsparende
zwei-Stunden-Instant-Version. Und sehr gute Bücher werden zum Comic,
auch dann geht das Lesen unvergleichlich zügiger vonstatten. Das
haben sich wohl auch die Macher von Moga Mobo gedacht und präsentieren
in der neuesten Ausgabe ihres sympathischen Magazins 100 Meisterwerke
der Weltliteratur, von "Faust" über "Betty Blue",
dem "Herrn der Ringe" (ganz aktuell!) und "Moby Dick",
bis hin zu "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo". Auf jeweils einer
Seite sollten die beteiligten Comiczeichner ihre Version des Buches
präsentieren und dabei nicht mehr als acht Panels und nach Möglichkeit
keine Sprechblasen benutzen. Und dazu wurde durchaus die Elite der deutschen
Comicszene verpflichtet: Unter anderem wirken die Berliner Fil, OL,
Reinhard Kleist und Andreas Michalke mit, die Laskas aus München,
Naomi Fearn aus Stuttgart und die Wiener Nicolas Mahler und Heinz Wolf.
Das Ganze kommt in Form eines veritablen Taschenbuchs daher, finanziert
sich jedoch ausschließlich aus den Werbeanzeigen. Alles in allem:
Ein großer Wurf der Moga Moboianer, die seit inzwischen sieben
Jahren jeden Comic-Salon mit ihren schrägen Ideen aufgepeppt haben.
(LuG)
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